An diesem Sonntag
(21. April 1991)
An
diesem Sonntag startete ein Langstreckenteam aus einer kleinen Gäugemeinde bei
den Landesmeisterschaften der Senioren am Fuße der Schwäbischen Alb. An diesem
Sonntag rüsteten sich drei Motorradfreaks aus einer großen Stadt im Mittleren
Neckarraum zu einer Spritztour in den Schwarzwald. An diesem Sonntag freute
sich eine vierköpfige Familie aus einem Stadtteil am Rande des
Nordschwarzwaldes auf einen geruhsamen Feiertag.
Um
acht Uhr holen die Sportler ihre Startnummern und laufen sich in der kühlen
Morgenluft warm. Die Motorradfahrer verlassen ihre schlafende Stadt und brausen
dem Enztal zu. Ein Elternpaar sitzt am Frühstückstisch, ihr fünfjähriger Sohn
räkelt sich noch im Bett, das kleine Schwesterchen kräht im Laufstall.
Um
zehn Uhr fällt der Startschuss zum fünfundzwanzig Kilometerlauf. Die Sonne
scheint, aber die Temperaturen sind noch angenehm, die Strecke ist leicht
hügelig. Die schweren Maschinen haben die Goldstadt an der Pforte zum
Nordschwarzwald längst hinter sich gelassen. Im Kurpark eines weltbekannten
Heilbades genießen die Fahrer ihre Zigaretten und fühlen angenehme Strahlen auf
ihrer ledernen Schutzkleidung. In der Martinskirche sitzt ein glückliches
Elternpaar und dankt Gott für seine gesunden Kinder. Oma steht in der Küche
und bereitet das Mittagessen vor, der kleine Enkel schneidet Petersilie für
sie.
Um
halb zwölf ist die Entscheidung gefallen. Nach hartem Kampf haben die
Gelbhemden im Schlussspurt sich klar durchgesetzt. Drei Jahre nach seinem
Erfolg am Bodensee hat das Team sich erneut den Meistertitel erlaufen.
Inzwischen haben die Zweiräder am Stausee geparkt. Hunderte von Surfern
bevölkern das Wasser, drei Männer liegen im Gras und lassen sich ein kühles
Bier schmecken. Omas Spätzle mit Gulasch dampfen auf dem Tisch. Himbeereis mit
Vanillesoße lässt ein Kinderherz höher schlagen.
Um
vierzehn Uhr ist Siegerehrung. Stolz lassen sich drei Athleten die schwer
erkämpften Goldmedaillen umhängen. Inzwischen ist es recht warm geworden.
Ziemlich gerädert erwachen die Fahrer nach einem kurzen Schlaf in der prallen
Sonne. Die Zweijährige hat ihren Mittagsschlaf ebenfalls beendet, ihr Vater
fährt das Auto aus der Garage.
Um fünfzehn Uhr verlassen die glücklichen
Sieger die Autobahn und steuern über Landstraßen ihrem Heimatort entgegen. Auf
Deutschlands größtem Marktplatz parken drei schwere Motorräder, ihre Fahrer
versorgen sich mit Camel, damit sie wieder meilenweit fahren können.
Inzwischen hat unsere Familie ihr Auto vier Kilometer entfernt an einem
Waldparkplatz abgestellt, die Straße überquert und wandert auf einem
asphaltierten Feldweg. Ein Junge schiebt sein kleines Schwesterchen im
Sportwagen.
Um
zehn vor vier schleppt ein Läufer seine Taschen durch das Treppenhaus. An einer
Araltankstelle am Fuße eines mächtigen Burgberges werden drei leere Tanks
aufgefüllt. Ein Vater verstaut den roten Plastikball, mit dem er mit seinem
Sohn auf einer Lichtung gespielt hatte.
Um
siebzehn nach vier steht ein müder Sportler fröhlich singend unter der Dusche.
Durch die mittelalterliche Schäferlaufstadt dröhnen zur gleichen Zeit starke
Motoren. Eine Zweijährige hat Spaß daran, ihren Wagen auf dem leicht
abschüssigen Weg zum Parkplatz selber
zu schieben.
Um
neunzehn nach vier schließt sich die Badezimmertüre. Die Gruppe verlässt das
Nagoldtal und biegt rechts ab, den Höhen des
Gäus zu. Da entschließt sich der Vater, vor der Heimfahrt noch kurz in
die Büsche zu gehen.
Um
zweiundzwanzig nach vier erreicht die Familie
die Landstraße vor dem Parkplatz. In der Luft liegt Motorengeräusch.
Müde Muskeln räkeln sich auf dem Sofa vor dem Fernsehapparat. Ein Radfahrer
passiert die wartende Familie und wird in der selben Sekunde von einer Rakete
auf zwei Rädern überholt.
Um
dreiundzwanzig nach vier ist auch die zweite Maschine vorbeigeflogen. Der
dritte Mann verliert die Gewalt über sein Fahrzeug, wie eine Bombe schlägt es
in die Gruppe. Die Mutter und das Töchterchen sind auf der Stelle tot, dem
Sohn fehlt ein Bein. Der Vater bleibt unverletzt mit seinem Schmerz allein
zurück. Ein Landesmeister entschließt sich, noch einen kleinen
Lockerungsspaziergang zu unternehmen. Es ist doch ein zu schöner Sonntag.
(Günter Krehl 29. Mai 1997)